Der Tod im Ausnahmezustand

Schwierige Zeiten für die Trauer

Tod in Corona-Zeiten - Gebrochene Eisfläche

Es ist Ausnahmezustand – im Draußen und im Drinnen. Es herrscht ein kollektiver Ausnahmezustand! Viele Menschen gehen gerade an ihre Grenzen und weit darüber hinaus. Andere sehen sich völlig neuen und unerwarteten Herausforderungen gegenüber. Das Leben fühlt sich anders an. Alle Menschen sind gefordert, auf die unterschiedlichste Art und Weise. Alle müssen verzichten. Manche müssen auf Zeit verzichten, sie auf später verschieben, während andere gerade deutlich mehr davon haben, mehr als ihnen vielleicht lieb ist. Wir nehmen die Zeit anders wahr. Sie fühlt sich anders an. Durch all die neuen Ereignisse und Entwicklungen, durch unsere neuen Tagesabläufe, durch das was uns fehlt, durch das was wir vermissen, durch das was neu ist.

 

Mich erinnert diese Zeit gerade sehr an die Zeit nach dem Tod. Wenn sich die Welt im Drinnen anders zu drehen scheint als die Welt im Draußen. Wie muss es sich anfühlen in dieser aktuell verrückten Zeit, in dieser veränderten und völlig unbekannten Welt zusätzlich auch noch dem Tod zu begegnen, ihn erleben zu müssen? Denn wir wissen: Täglich sterben unzählige Menschen. Täglich begegnen Menschen dem Tod. Natürlich sterben auch sonst täglich unzählige Menschen. Aber die Toten sind uns heute noch präsenter als sonst. Sie werden gezählt, tauchen in Statistiken auf, werden in den Nachrichten genannt. Als Zahlen. Erschreckende Zahlen! Wir versuchen alles, um diese Zahlen niedrig zu halten, sie zu senken. Um möglichst viele Menschenleben zu retten vor dieser Krankheit, vor diesem Virus, der sich still und heimlich in unserer Gesellschaft ausbreitet. Wir machen uns Sorgen um unsere Eltern, Großeltern, Familie, Freunde, Nachbarn, um die sogenannte Risikogruppe. Wir haben Angst um sie! Wir haben Angst davor sie an den Tod zu verlieren!

 

Der Tod & die Einsamkeit

Der Tod scheint in dieser Zeit noch undankbarer zu sein als sonst, noch bedrohlicher, noch angsteinflößender. Denn dieser Tod kommt in Zeiten der Einsamkeit. Eine viel zu große Zahl an Menschen muss momentan isoliert und einsam sterben. Ohne die wärmende Hand eines Angehörigen. Ohne den oft gebrauchten Beistand auf diesem Weg ins Ungewisse.

 

Der Tod und die Einsamkeit kommen zusammen und hinterlassen tiefe Spuren in den Herzen der Menschen, die den Tod begreifen und verstehen müssen. Denn hinter jedem Toten steht eine Familie, stehen Freunde, Bekannte, Nachbarn. Menschen, die um einen toten Menschen trauern. Ihn vermissen. Angehörige, die diesen völlig unbegreiflichen Tod in dieser völlig anderen Welt begreifen sollen. Begreifen, ohne dabei gewesen zu sein. Ohne sich verabschieden zu können. Nicht am Sterbebett, nicht am offenen Sarg, nicht in der Kirche, der Trauerhalle, auf dem Friedhof, nicht bei einer Trauerfeier.

 

Beerdigungen dürfen momentan nur im allerengsten Familienkreis stattfinden. Wenn überhaupt. Mit ausreichend Abstand zwischen allen Anwesenden. Nur draußen. Ohne eine tröstende Umarmung von Freunden, ohne einen beileidsbekundenden Händedruck von Nachbarn, ohne die Öffentlichkeit, ohne die Tränen der anderen, ohne die Momente des gemeinsamen Trauerns und Erinnerns, ohne das Gefühl der Gemeinschaft, das uns doch gerade in schwierigen Zeiten so oft trägt, das uns Kraft gibt für die Reise durch die Trauer. All das fehlt! All diese wichtigen Rituale und Begegnungen, die Trauernden dabei helfen den Tod überhaupt zu verstehen, ihn zu begreifen, all diese Momente gibt es momentan nicht. Oder nur sehr eingeschränkt.

 

Trauer im Ausnahmezustand

Und egal ob der Tod jetzt gerade erst gekommen ist oder vor einiger Zeit schon da war. Da draußen sind zahlreiche trauernde Menschen, die mitten in ihrem eigenen gewaltigen Ausnahmezustand im Innen zusätzlich noch diesen gewaltigen Ausnahmezustand im Außen erleben müssen. Die Unterstützung, die sie sonst bekommen, fällt zum Teil weg, verändert sich. Menschen, an die sie sich anlehnen können, sind momentan vielleicht selbst zu verunsichert, um eine gute Stütze zu sein. Es fehlt die Nähe zu anderen Menschen, die sie in den Arm nehmen, die durch Worte, Mimik und Gestik ihr Mitgefühl äußern, die einfach da sind für sie.

 

Der Ausnahmezustand, in dem sich Trauernde sowieso befinden, geht möglicherweise unter in dem Ausnahmezustand, der uns momentan alle umgibt. Den jeder einzelne von uns gerade selbst spürt. Die Trauer der anderen wird nicht mehr richtig wahrgenommen vor lauter Ungewissheit und eigener Unsicherheit. Dabei sind Trauernde gerade jetzt möglicherweise in einem doppelten Ausnahmezustand!

 

Für einige Trauernde bietet sich vielleicht gerade jetzt in dieser veränderten Welt da draußen die Möglichkeit sich ihrer eigenen Trauer und ihren Gefühlen zu widmen. Vielleicht erkennen sie eine Chance darin der eigenen Trauer genau jetzt mehr Zeit und Raum geben zu können. Gerade jetzt, wo die Welt sich langsamer zu drehen scheint als sonst.

 

Für andere Trauernde ist es aber vielleicht auch gerade jetzt in dieser momentanen Zeit besonders schwierig zusätzlich auch noch der eigenen Trauer zu begegnen, ihr Raum zu geben. Vielleicht weil die Zeit fehlt oder weil es sich zu schwer anfühlt. Weil es zusätzlich beängstigend ist gerade jetzt auch noch der Trauer im Innen Platz zu schaffen, wo doch gerade nicht nur die eigene Welt aus den Fugen geraten ist, sondern auch die Welt im Allgemeinen.

 

Für diejenigen von euch, die gerade selbst in Trauer sind und für diejenigen, die eine trauernde Person in ihrem Umfeld haben, habe ich ein paar Ideen für die momentane Zeit zusammengestellt - für die Trauer in Zeiten von Corona.

 

Für dich & deine Trauer:

  • Lass Licht und Luft in deine Wohnung hinein. Mach die Fenster weit auf. Mach es dir zu Hause schön.
  • Gehe raus an die frische Luft. Das Sonnenlicht hebt die Stimmung, die Bewegung tut gut. Nimm dir die 5 Anregungen für dich & deine Trauer mit. Vielleicht verspürst du die Lust und die Kraft mit Hilfe der Natur deiner Trauer zu begegnen.
  • Suche virtuelle Nähe, tausche dich online mit anderen Trauernden aus. Schau dich nach Trauerchats um. Telefoniere mit Freunden, die ein offenes Ohr für dich haben. Trau dich die Angebote der telefonischen Seelsorge zu nutzen, falls du dich hilflos fühlen solltest und nicht weißt mit wem du sprechen könntest.
  • Falls dir die körperliche Nähe zu anderen Menschen fehlt, dann nimm dich ab und an selbst in den Arm. Oder aber nimm ein Kissen fest in den Arm. Beides ersetzt natürlich keine echte Umarmung von anderen Menschen, aber es kann sich dennoch gut anfühlen und beruhigen. Denn auch eine eigene Umarmung kann das Kuschelhormon Oxytocin freisetzen und dir in stressigen Zeiten helfen dich zu beruhigen und zu trösten.
  • Widme dich den schönen und positiven Erinnerungen. Vielleicht hast du Lust zu malen oder zu schreiben, vielleicht schaust du dir alte Fotos an, vielleicht bastelst du eine Erinnerungskiste. Lass dich von den positiven Erinnerungen an deinen Verstorbenen wärmen.
  • Falls du Angst davor hast dich zu tief in deiner Trauer zu verlieren, dann setze dir einen klaren zeitlichen Rahmen. In einem fest abgesteckten Zeitraum gibst du deiner Trauer die Möglichkeit einfach da zu sein. Schau was sie mit dir macht. Wenn dann der Wecker klingelt und die Trauer-Zeit erst einmal abgelaufen ist, solltest du versuchen dich von deiner Trauer zu lösen und dich anderen Dingen zu widmen, die dir guttun, die dir Freude machen. Koch dir etwas Leckeres, schaue einen schönen Film, lies ein spannendes Buch.
  • Falls du merkst, dass du dich zu tief in deinen Gedanken verlierst, dann versuche dich auf deinen Atem zu konzentrieren, um dich in den Moment zurückzuholen. Oder aber: Achte auf deine Sinne. Was hörst du gerade draußen? Was siehst du? Versuche dich aus deinen Gedanken ins Jetzt zu holen.
  • Außerdem: Vertraue dir selbst und deinem Körper, der in der Regel genau weiß, wieviel Trauer du gerade jetzt ertragen kannst. Sei geduldig und nachsichtig mit dir, wenn die Trauer dich überrollt. Die immense Welle der Trauer wird auch wieder abflachen. Sie wird dir auch wieder die Möglichkeit geben tief durchzuatmen und Luft zu holen. Vertraue!

 

Was du gerade jetzt für Trauernde tun kannst:

  • Vergiss sie gerade jetzt nicht! Melde dich ab und an bei ihnen. Ruf sie an. Schreibe ihnen. Frag nach, wie es ihnen jetzt gerade geht. Hab ein offenes Ohr, hör den Trauernden zu und lass sie reden. Du musst keine Ratschläge geben. Schenke ihnen einfach ein bisschen Zeit für ihre Gedanken und Gefühle.
  • Auch wenn ein gemeinsames Treffen gerade schwierig ist, biete den Trauernden deine konkrete Hilfe an. Kannst du für sie oder ihn etwas kochen? Was mag sie oder er gerne? Womit kannst du ihr oder ihm ein Lächeln auf die Lippen zaubern? Wie kannst du sie oder ihn vielleicht auch aus der Ferne unterstützen?
  • Wenn der Todesfall gerade erst eingetreten ist und du z.B. nicht an der Beerdigung teilnehmen kannst:
    • Melde dich bei der Familie des Verstorbenen. Schreibe einen Brief, eine Karte, ruf an. Versuche Worte zu finden, die ausdrücken, wie du dich gerade fühlst. Nimm deinen Mut zusammen und zeige, dass du gedanklich bei ihnen bist. Dass der Tod auch an dir nicht spurlos vorbeigeht.
    • Falls du den Verstorbenen auch gut kanntest: Erinnert euch gemeinsam an schöne und lustige Momente. Vielleicht könnt ihr gemeinsam lachen
    • Vielleicht kannst du eine Kerze anzünden, vor dem Haus des Verstorbenen, in deinem Fenster, in Gedenken an den Verstorbenen. Teile deine eigene Trauer und deine Gedanken mit der Familie des Verstorbenen.
  • Bitte nicht: Gehe den Trauernden nicht aus dem Weg! Lass sie nicht im Stich! Sie brauchen dich gerade jetzt.

 

PS: Es ist Ostern! Für viele Trauernde sind diese Tage im Jahr besonders, da sich gerade an Feiertagen das Vermissen besonders deutlich zeigt. Vieles ist anders. Jemand fehlt, mit dem man sonst dieses besondere Wochenende verbracht hat. Dieses Jahr ist Ostern für die meisten von uns anders als sonst. Für Trauernde ist es aber eines der Feste, das zukünftig immer anders sein wird. Lassen wir sie gerade an diesem Wochenende wissen und spüren, dass wir an sie denken, dass wir an den Verstorbenen denken, dass wir in Gedanken bei ihnen sind.

 

Wie geht es dir gerade? Was macht die Situation im Außen mit dir im Inneren? Macht dir diese Zeit Angst? Was tut dir gerade jetzt gut? Hast du eine gute Idee, wie man gerade jetzt Trauernde unterstützen kann?

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