Im Kreislauf des Lebens.

Über den Tod und die Geburt. Und über das Leben Dazwischen.

Im Kreislauf des Lebens. - Über den Tod und die Geburt. Und über das Leben dazwischen. - Apfelblüten

Du tot, ich hier, in Gedanken bei Dir – mittendrin sind wir in diesem Kreislauf des Lebens. Das spüre ich heute noch viel deutlicher als damals. Damals, als ich Dich das letzte Mal habe atmen hören. Damals, als die Welt für einen Moment stehen blieb. Damals, als von jetzt auf gleich alles anders war. Damals, als mein Herz fast platzte vor Schmerz nur bei dem Gedanken daran, dass Du nie meine Kinder kennenlernen würdest. Dass Deine Enkelkinder Dich nie selbst kennenlernen würden. Damals war ich noch so jung. Damals war ich noch nicht bereit.

 

Und heute – da bin ich so alt wie Du damals, als Du mich in Deinem Bauch getragen hast. Heute bin ich alt genug. Heute bin ich bereit. Heute trage ich Dein Enkelkind in mir.

 

Das ist er wohl – dieser Kreislauf des Lebens. Die Geburt ist ein Teil davon. Der Tod ist ein Teil davon. Und das Leben mitten dazwischen. Ohne das eine ist das andere nicht möglich.

 

Der Frühling

Gerade jetzt im März macht sich dieser Kreislauf des Lebens wieder besonders stark bemerkbar. Irgendwo zwischen dem langen, dunklen Winter und dem prachtvollen Frühling, da liegt der März. Der Winter verabschiedet sich langsam, die Sonne lässt sich wieder öfter und kräftiger am Himmel blicken. Die Natur regt sich. Ganz langsam und vorsichtig wagen die Krokusse einen Blick aus der Erde, die Narzissen strecken mutig ihre gelben Köpfe in den Himmel, manche Bäume umgibt ein sanfter Grünschimmer, einige Sträucher blühen schon in voller Pracht. Der März fühlt sich nach Neubeginn an. Neues erwacht. Neues kommt. Noch ganz zaghaft. Die Tage werden wieder länger. Der Frühling schleicht sich langsam rein in unser Leben und spendet uns Licht und Kraft und eine etwas buntere Welt.

 

Der Kreislauf der Natur

Während ich mich an all dem Schönen und Neuen erfreue, weiß ich sehr wohl, dass all das nicht zum Leben erwachen könnte, wenn sich die Natur nicht in den langen Winterschlaf begeben hätte. Wenn die Bäume ihre Blätter und Früchte im Herbst nicht abgeworfen hätten, wenn sich die Tiere und Pflanzen nicht zurückgezogen hätten. All das hängt zusammen. Ein Kommen und ein Gehen. Jahrein, jahraus. Der Kreislauf der Natur.

 

Und mittendrin in diesem Kreislauf, da sind wir Menschen. Wir sind ein Teil dieses wundersamen Lebenszyklus. Wir gehören dazu zu diesem Kreislauf der Natur, zum Kreislauf des Lebens. Wir versuchen ihn immer mal wieder auszutricksen, ihn zu verlängern oder auch zu verkürzen, ihn zu beeinflussen. Aber wirklich entkommen können wir dem Ganzen nicht. Denn wir sind eins mit der Natur. Mehr als es uns manchmal bewusst ist. Mehr als es uns manchmal lieb ist.

 

Es ist nicht leicht

Es fällt uns nicht immer ganz leicht das zu akzeptieren. Dass wir manches einfach nicht beeinflussen können. Dass wir ein Teil dieses Kreislaufes sind. Dass wir den Tod letztlich nicht austricksen können. Dass wir immer wieder Abschied nehmen müssen von Liebgewonnenem, um Neues begrüßen zu können. Dass wir immer wieder loslassen müssen, um Platz für Neues zu schaffen. Das ist nicht leicht. Das mit dem Abschied und das mit dem Tod, das ist nicht leicht!

 

Und auch mir selbst fällt es nicht leicht das zu akzeptieren. Dass auch ich ein Teil dieses Kreislaufes bin. Dass auch ich Abschied nehmen muss. Dass der Tod auch mich und mein Umfeld nicht einfach verschont. Dass er immer wieder auftauchen wird. Mal weiter weg und mal viel zu nah dran.

 

Die Fragen

Und jedes Mal bleibe ich mit einer Menge Fragen zurück. Fragen über das Leben. Fragen über den Tod. Fragen, die ich gerne noch gestellt hätte. Fragen, die ich auf später verschoben habe, für die es jetzt zu spät ist. Fragen, für die der Moment irgendwie noch nicht richtig war. Manchmal sind das auch Fragen, die mir erst mit der Zeit kommen. Die ich mir jetzt erst stelle. Durch diesen Kreislauf des Lebens. Fragen, die mich jetzt erst beschäftigen. Weil sie damals nicht relevant waren. Weil ich sie damals noch gar nicht kannte: Wie war das für Dich schwanger zu sein? Wie ist es Dir damals in Deiner Schwangerschaft mit mir ergangen? Welche Sorgen und Gedanken haben Dich umtrieben? Was hast Du Dir davor erträumt? Was hat Dich danach erwartet? Warst Du glücklich?

 

Auf einige meiner Fragen werde ich wohl nie eine Antwort bekommen. Manche Antworten kann ich vermuten, wenn ich mich in Deinem Umfeld von damals umhöre. Und manche Antworten kann ich vielleicht auch erahnen, sie spüren. Wenn ich tief in mich hineinhorche. Vielleicht kenne ich einige der Antworten schon. Vielleicht liegen sie bereits irgendwo in mir selbst. Vielleicht wurden sie schon längst dort platziert.

 

Was ich weiß: Ich bin gerade glücklich! Ich freue mich auf das was da kommt, auf mein Kind, auf Dein Enkelkind. Und ich bin dankbar. Für das tiefe Vertrauen, dass alles gut wird. Für das Vertrauen in mich selbst. Für das Vertrauen in meinen Körper. Vielleicht hast Du dieses Glück und dieses Vertrauen schon damals dort gesät. Damals, als du Dich auf mich gefreut hast. Damals, als wir mitten drin waren in diesem Leben. Damals, als wir den Tod nicht einmal erahnt haben.

 

Ist das vielleicht auch ein Teil dieses Kreislaufes? Dass man manche Antworten bereits kennt? Dass man manche Antworten in sich selbst findet? Weil sie einem bereits mitgegeben wurden. Weil Du sie bereits beantwortet hast. Weil Du es mich hast spüren lassen. Irgendwann damals.

 

Dankbarkeit

Und dann bin ich doch auch irgendwie froh und dankbar ein Teil dieses natürlichen Kreislaufes zu sein. Irgendwie ist es doch auch beruhigend zu wissen, dass wir nicht alles selbst beeinflussen müssen und können. Dass die Natur selbst auf vieles eine Antwort hat. Dass wir vertrauen können. Dass auf jeden Winter auch wieder ein Frühling folgt. Dass nach jeder Nacht auch wieder ein neuer Tag beginnt. Dass die Sonne immer wieder aufgeht. Dass der Schatten irgendwann auch wieder zu Licht wird. Dass auf den Tod auch wieder Leben folgt. Dass das Leben tatsächlich weitergeht. Manchmal erschreckenderweise, manchmal glücklicherweise.

 

Mittendrin sind wir in diesem Kreislauf des Lebens und in diesem Kreislauf der Natur. 

Vielleicht birgt er auch Chancen für uns. Immer wieder. Die Chance des Neubeginns zum Beispiel. Im Innen und im Außen. Jeden Tag. Jeden Tag aufs Neue.

Er birgt die Chance, jeden Tag neu zu entscheiden. Neu zu entscheiden, welche Worte und welches Handeln wir wählen. Wir haben jeden Tag und in jedem neuen Moment die Möglichkeit, wertschätzende und liebevolle Worte, Gedanken und Taten zu wählen. Um uns selbst rund ums Jahr mit freundlichen und liebevollen Worten zu begegnen. Um den Menschen in unserem Umfeld in ihrem Frühling, Sommer, Herbst und Winter zu sagen und zu zeigen, wie wertvoll sie für uns sind. Bevor es zu spät ist.

Jeden Tag haben wir die Chance genauer hinzuhören. Auf uns selbst zu hören. Auf uns selbst zu vertrauen.

Weil die Natur uns so vieles schon mitgegeben hat.

Weil wir ein Teil des Ganzen sind.

Weil wir dazu gehören - zu diesem Kreislauf des Lebens.


 

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